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Ideen und Impulse zur Unterrichtsgestaltung

Lernprozessgestaltung heute

Wie sieht Unterricht aus, der die Schüler:innen adäquat auf ihre Zukunft vorbereitet? Kann man überhaupt von “Unterricht “ sprechen - werden sie denn “unterrichtet” über irgendwas? Wenn ja, wer tut das und was wird vermittelt? Bereitet sie dies auf die Welt da draußen vor? Und was bzw. wieviel nehmen die Schüler:innen tatsächlich vom Vermittelten mit?
Diese Fragen sind zweifelsohne nicht neu oder innovativ, aber notwendig, um das System Schule zu hinterfragen. Dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem Fragen gestellt werden müssen, macht der Umgang mit Digitalität besonders deutlich: Sehr rigide wurde Schule in der Vergangenheit abgekoppelt von der Außenwelt - Handyverbote in der Schule, kein funktionierendes WLAN und/ oder schlechte Ausstattung mit Endgeräten, mehr oder weniger klare und vor allem einschränkende Datenschutzvorgaben,… - Zwischen dem Planet Schule und dem Planet Außenwelt herrschte Funkstille, zu wenig wurde (und wird) die sich stetig und rasch verändernde Welt abseits der Schulmauern wahrgenommen und (eben nicht als theoretisches Konstrukt) integriert, zu sehr waren (und sind) die Rollenbilder in der Institution Schule festgeschrieben und verankert.
Eine neue Lernkultur beschreibt eine Veränderung im Bildungssystem, weg von traditionellen Lehrmethoden hin zu einem moderneren Ansatz des Lernens. Eine neue Lernkultur zeichnet sich durch eine Fokussierung auf die Bedürfnisse der Lernenden aus, indem sie individuelles Lernen, kollaboratives Lernen und selbstgesteuertes Lernen fördert. Die Schülerinnen und Schüler werden ermutigt, ihre eigenen Interessen zu verfolgen und ihre eigene Lernreise zu gestalten, anstatt passiv Wissen von einem Lehrer zu konsumieren.
In einer neuen Lernkultur spielt auch die Verwendung von Technologie eine wichtige Rolle, um das Lernen zu unterstützen und zu verbessern. Zum Beispiel können digitale Ressourcen und Tools wie Online-Kurse, Lern-Apps und interaktive Whiteboards eingesetzt werden, um das Lernen effektiver und ansprechender zu gestalten.
Eine neue Lernkultur kann auch ein Umdenken in der Bewertung von Leistung und Fortschritt bedeuten. Statt ausschließlich auf Noten zu setzen, können alternative Bewertungsmethoden wie Feedbackgespräche, Portfolioarbeit und Projekte eingesetzt werden, um eine ganzheitlichere Bewertung der Lernenden zu ermöglichen.
Insgesamt geht es bei einer neuen Lernkultur darum, das Lernen auf die Bedürfnisse der Lernenden anzupassen und ihnen die Werkzeuge und Freiheiten zu geben, um ihr volles Potenzial zu entfalten.
Formuliert man die Eingangfrage im Sinne einer neuen Lernkultur um, lautet diese: Wie können sich Lerner:innen mit Unterstützung der Schule adäquat auf ihre Zukunft vorbereiten?
Was ist anders?


Sechs Leitplanken für eine Neurorientierung im System Schule:

Individualisierung: Eine Neue Lernkultur stellt den Lernenden ins Zentrum und berücksichtigt dessen individuelle Bedürfnisse, Fähigkeiten und Interessen. Das bedeutet, dass das Lernen auf den:die einzelne:n Lernende:n abgestimmt wird und er:sie die Freiheit hat, seine:ihre eigene Lernreise zu gestalten. Dies impliziert gleichsam eine Abkehr vom klassischen Bild der Lehr(!)kraft als Instruktor:in, hin zu einem Lernbegleiter. Nicht das Lehren steht im Fokus, sondern das Lernen, d.h. es geht um eine gelebte Lerner:innenorientierung.
Selbstgesteuertes Lernen: In einer Neuen Lernkultur werden die Lernenden dazu ermutigt, ihre eigene Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen und sich aktiv an ihrem Lernprozess zu beteiligen. Sie sollen lernen, wie sie ihr eigenes Lernen steuern und organisieren können. Dabei spielen die 4K, vier als für das 21. Jahrhundert entscheidend angesehene Kompetenzen, eine Rolle: Kollaboration und Kommunikation, Kreativitär und Kritsches Denken. Nur in Lernarrangements, die eigenverantwortliches und selbstgesteuertes Lernen zulassen, werden diese Fertigkeiten gefordert und trainiert.
Kollaboratives Lernen: Eine Neue Lernkultur fördert auch das Lernen in Gruppen und die Zusammenarbeit zwischen den Lernenden. Sie sollen lernen, wie sie effektiv in Gruppen arbeiten und voneinander lernen können. Dabei ist es wichtig, zwischen Kooperation und Kollaboration zu unterscheiden; In einem kooperativen Arrangement fügen sich die von den Schüler:innen einzeln ausgearbeitete Teile wie ein Puzzle zusammen, wohingegen in einem kollaborativen Arrangement gemeinsam an den Puzzleteilen gearbeitet wird. Dies impliziert, dass das fertige Puzzle nicht vorher definiert ist, sondern im gemeinsamen Arbeitsprozess entsteht und immer wieder eigenverantwortlich von den Lernenden modifiziert und angepasst werden kann.
Praxisorientierung: Eine Neue Lernkultur legt großen Wert auf die praktische Anwendung von Wissen und Fähigkeiten. Die Lernenden sollen lernen, wie sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in der realen Welt anwenden können. Dazu werden Lernaufgaben verwendet, die einen konkreten Anwendungsbezug haben bzw. direkt in der realen Welt der Lernenden verankert sind. Lediglich die zu den Zielkompetenzen und den Inhalten der Lernaufgabe hinführenden Übungen sind simuliert, d.h. künstlich angelegt, um bestimmte Fertigkeiten zu trainieren, bevor sie in der Lernaufgabe Anwendung finden.
Flexibilität: Eine Neue Lernkultur ist flexibel und passt sich den Bedürfnissen und Veränderungen der Lernenden und der Gesellschaft an. Das bedeutet, dass sie offen ist für neue Technologien, neue Lehrmethoden und neue Erkenntnisse. Gleichsam bezieht sich diese Agilität auf Aktivitäten der Lehrkraft und der Schüler:innen. Beide wirken als aktive Gestalter:innen der Lernprozesse, wobei die Lehrkraft als strukturierende und Hilfe gebende Instanz die Lernwege vorzeichnen und die Lernpakete schnüren kann, die Schüler:innen partizipieren aber insofern, als dass sie diese Wege selbstständig erkennen, eigenverantwortlich (d.h. in ihrem eigenen Tempo, ggf. asynchron zu anderen, und in selbst gewählter Reihenfolge) bestreiten aber auch situativ nach ihren eigenen Bedürfnissen ummodellieren.
Kreativität: Eine Neue Lernkultur fördert die Kreativität und das Experimentieren. Die Schüler:innen sollen lernen, wie sie ihre eigenen Ideen und Lösungen entwickeln können. Dabei spielen auch kritisches Denken und gemeinsame Reflexion eine Rolle, da individuelle Lernergebnisse final zu Erkenntnissen werden sollen. Der physische Raum Schule bietet sich hierzu als Plattform zum Austausch an, digitale Lernsettings können diesen im Sinne einer Dokumentation der Erkenntisse stützen, dienen aber auch (vorrangig) dem individuellen Lernzuwachs.


Lesen Sie im Monat Juni: Konkrete Praxisbeispiele für Lernprozessgestaltung gemäß einer neuen Lernkultur

Zum Weiterlesen empfohlen:
Kantereit, Tim (20xx). Zeitgemäßer Unterricht. Eine keynote in Bildern. LINK
Mittelbach, Tom (2019). Zeitgemäßes Lernen/ Zeitgemäße Bildung. LINK
Poitzmann, Nikola & Sobel, Martina (2023). Upgrade: 21st Century Skills. Das 4K-Modell des Lernens in der Praxis. Hannover: Klett Kallmeyer [im Druck]
Schatz, Christina & Meinel, Christoph & Zierer, Klaus (Hrsg.). (2019). Lernen 4.0. Pädagogik vor Technik. Best‑Practice‑Unterrichtsbeispiele für die Sekundarstufe. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

 

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